- - - 17. September 2019 - - -

Die Rückkehr des Blockwarts

Die drohende Klimakatastrophe zwingt zum Handeln. Am besten handelt man jetzt durch Unterlassen. Soweit sind wir uns alle einig, und zwar weltweit. Mal abgesehen von ein paar Spinnern wie Trump und den Faschisten. Nur bei dem Wie gibt es Streit. Die Kreise, in denen ich mich bewege, sind sich ganz schnell im Klaren, was getan werden muss. Als ob das so einfach wäre. Ich habe da ein großes Bedürfnis nach Gründlichkeit und Übersicht. Was muss wirklich getan werden und was ist einfach nur Kosmetik, die dazu dient, dass sich Einzelne besser fühlen? Beispiel Elektroautos. Andere sind von der ersten Sekunde an mit großer Gewissheit und Überzeugung dabei.

Da werden einige sogleich zum Streber und haben eine Liste parat, auf der sie aufgeschrieben haben, wie vorbildlich sie selbst jetzt schon leben. Kein Fleisch, keine Flüge, kein Auto, kein Plastik, keine Kosmetik, nur Bio-Gemüse, nachhaltige Kleidung und ihre Kinder sind auch zu 100 % biologisch abbaubar. Na super. Aber nicht nur das.

Sie haben auch ein neues Hobby, das allerdings in Wahrheit ziemlich alt ist, auch wenn sie selbst das gar nicht wissen. Sie klopfen gern mal ihre Mitmenschen daraufhin ab, ob die auch ihren umweltschützenden Ansprüchen genügen und wenn nicht, dann hat man jede Menge vorwurfsvollen Empörungsgesprächsstoff. Na super.

Denkt bitte weiter! Wer diese Büchse der Pandora öffnet, wird dessen, was sich daraus entwickelt, nicht mehr Herr und Herrin werden. Was jetzt schon mit Flightshaming, also Flugscham losgeht, wird ein Horror werden. Was kommt als Nächstes? Shitstorms, wenn jemand mit einer Schnitzelsemmel erwischt wird? Strafpunkte in Flensburg, wenn jemand Diesel tankt? Nachbarn, die unseren Müll durchwühlen auf der Suche nach Umweltsünden und weggeworfenem Essen? Rufmorde ab einer bestimmten Größe des Autos?

Es dauert nicht mehr lang, und dann haben wir die ersten Einrichtungen, in denen man die Menschen melden kann, die es nicht so genau mit dem Umweltschutz nehmen. Das hatten wir doch schon mal, oder? Also nicht wir, aber unsere Eltern, beziehungsweise Großeltern.

Da gab es den Blockwart, der darauf achtete, dass sich alle schön brav arisch verhielten. Das System funktionierte damals reibungslos bis hin zu serienmäßigen Denunziationen. Oder wir führen das gute alte IM-System der Stasi wie in der alten DDR wieder ein. Funktionierte auch immerhin 40 Jahre lang wie am Schnürchen. So könnten sich alle gegenseitig ausspionieren, ob man auch wirklich Ferien in Brandenburg macht und nicht etwa am Frankfurter Flughafen angetroffen wird. Schrecklich? Ja, schrecklich. Und sehr gefährlich. Wir sollten uns nicht einbilden, dass das, was wir gut meinen, nicht ebenso in den Irrsinn führt wie bei denen, die wir als faschistoid bezeichnen.

Ich hoffe, ich habe euch mit meinem leicht übertriebenen Szenario vor Augen geführt, dass Maßnahmen zum Schutz des Weltklimas nicht den privaten Ambitionen einzelner Leute überlassen werden können.

Wir brauchen verlässliche und für alle verbindliche Regeln, die dafür sorgen, dass das funktioniert. Für solche Fälle haben wir den so genannten Staat erfunden. Es ist der kleinstmögliche Nenner für ein paar Millionen Menschen und sorgt dafür, dass die allgemeinen Interessen auch wirklich vertreten werden. Wenn‘s gut läuft, dann arbeitet der Staat von vielen Nationen miteinander und sorgt für weltweite Umsetzung. Auch dafür gibt es Institutionen. Eine beruhigende Vorstellung, auch wenn solche Apparate normalerweise extrem langsam arbeiten und die Vollidioten dort leider überproportional vorhanden sind. Aber immer noch besser als neofaschistische Blockwarte und Nachbarschaftsspionage. Ich weise gern auf den Erfolg des Rauchverbots hin. Eine alte Schachtel wie ich es bin, erinnert sich noch genau wie es früher war, als alle qualmten und barzten, wo auch immer sie sich befanden. Heute gibt es Rauchverbote. In öffentlichen Gebäuden, in Restaurants (bald auch in Österreich!!). Zum Segen der Gesundheit der Bevölkerung. Man konnte es nicht der Entscheidung der einzelnen Bürger/innen überlassen.

Ja, aber was ist denn mit der Macht des und der Einzelnen? Immerhin war es die private Greta Thunberg, die eine Bewegung auslöste und nicht der schwedische Staat oder die UNO. Das ist der viel beschriebene Schmetterlingseffekt, der am Ende einen Tsunami auslösen kann. Das ist gut und wünschenswert. Und ohne den kommt es möglicherweise niemals zu großen politischen Entscheidungen. Denn eine muss den Anfang machen. Wenn viele Leute kleine Dinge tun, kann das einen Vorbildcharakter entwickeln. Aber verlässlich und berechenbar ist es nicht. Und gefährlich obendrein, denn wir so genannten Gutmenschen sind gar nicht so gut wie wir uns immer wünschen, sondern sehr oft moralinsaure Besserwisser/innen, die sich manchmal zu Kontrollettis und Privatpolizisten aufspielen und das Empörungskarussell genauso bedienen wie die anderen. Drum Vorsicht und besser gesetzlich abgesicherte politische Lösungen. Die betreffen dann alle. Denn vor dem Gesetz sind alle gleich. Und sind sie es nicht, was ja durchaus immer wieder vorkommt, so haben wir rechtliche Möglichkeiten, einzufordern, was unser gutes Recht ist. Unsere demokratischen Strukturen sind besser als ihr Ruf.

Was also kann die/der Einzelne tun? Der Schmetterlingseffekt ist längst passiert. Wir können uns jetzt auf die Seite Greta Thunbergs stellen, ganz egal ob wir jung oder alt sind. Wir können also ein Umdenken fordern, darauf aufmerksam machen, dass etwas getan werden muss, Druck auf die Politik ausüben und dabei nicht nachlassen. Vor allem aber müssen wir still werden, um zu erkennen, was getan werden muss, denn wer aufgeregt ist und immer nur auf die Anderen starrt, die etwas tun sollen, lernt nichts, weiß nichts und irrt sich oft gewaltig. Wir haben es mit komplexen Problemen zu tun. Da gibt es keine einfachen Lösungen. Komplexe Probleme löst man immer nur in Kooperation und nicht gegeneinander.

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