Es ist mir fast peinlich, diesen Text zu schreiben. Ich beschäftige mich nun seit fast vierzig Jahren ausschließlich mit den Belangen des weiblichen Teils der Menschheit. Aus gutem Grund. Es ist meine Welt, und weil ich nicht ganz blöd bin, ist mir schon sehr früh aufgefallen, dass die Welt für Männer anders ist, ganz, ganz anders. Die hatten alles, durften alles, bestimmten alles und zerstörten alles, wenn es ihnen passte.
Das verstörte mich sehr. Wie die Frauen der Generation meiner Mutter wollte ich nicht werden. Ein Mann wollte schon gar nicht sein. Darum machte ich mein eigenes Ding. Das klappte mal gut, oft nicht.
Offensichtlich bin ich von Geburt an nicht ganz zähmbar. Das fanden meine Eltern. Dieses Etikett bekam ich auch von meinen Liebesbeziehungen aufgeklebt. Anfangs verliebten sie sich deswegen in mich, um mich später, als das Oxytozin verflogen war, dafür zu hassen. Einen Vorteil hat diese psychische Ausstattung jedoch auf jeden Fall: man ist nicht zähmbar! Unterstützt wurde das wahrscheinlich dadurch, dass meine beiden Eltern zwar nicht wirklich begeistert davon waren, so kurz nach dem Weltkrieg ein Kind in die Welt zu setzen, aber wenigstens sollte es ein Mädchen sein. Der Wunsch wurde ihnen erfüllt und ich fand eine völlige Akzeptanz zu meinem Geschlecht vor. Deshalb dauerte es recht lange, bis ich verstand, dass nicht nur die anderen Frauen wie – sorry – Scheiße behandelt wurden, sondern auch ich. Ich gab mein jugendliches Selbstbild als überlegene Retterin von schlecht behandelten Frauen auf und schaute genau hin, und zwar inklusive meiner eigenen Situation. Als erstes fiel mir auf, dass viele meiner unangenehmen Ereignisse und gescheiterten Unternehmungen nicht mein persönliches Versagen waren, sondern in die Abteilung patriarchale Unterdrückung gehörten. Beispielsweise wie Banken mit mir umgingen. Oder Vermieter. Oder Geschäftsleute. Oder männliche Partner. Oder Lehrer/innen, Dozent/innen, Passanten auf der Straße.
Ich muss es wohl nicht weiter erläutern. Jede von euch kennt das.
Weil ihr Frauen seid.
Jahrzehnte später war ich zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Thema: lebenslanges Lernen. Ich war, ganz offensichtlich, die Quotenfrau auf der Bühne. Und sprach darüber, was Frauen lebenslang zu lernen haben. Nämlich, dass sie jederzeit mit einem Mörder rechnen müssen, und dass dieser Mörder in diesem Augenblick vielleicht neben ihr im Bett liegt. Dass sie dunkle Parks, Tiefgaragen und Fußgängertunnel nicht nur nachts meiden sollte. Dass sie nicht zu Fremden in ein Auto steigen sollte. Dass sie möglichst nicht allein reisen sollte, und wenn doch, sie sich eine Legende überlegen sollte, in der sie am Ziel von der ganzen Familie erwartet werden würde. Dass sie niemals ein offenes Getränk in einer Bar bestellen sollten, k.o-Tropfen-Gefahr. Dass sie Männern immer die Führung überlassen sollte. Dass sie nicht zu laut, zu dominant, zu intelligent auftreten sollte. Dass sie sich jederzeit blöd von der Seite anmachen lassen sollte, und zwar egal wo und egal wie und vor allem egal von welchem Mann. Dass sie doch bitte lächeln sollte, wenn ein Mann sie dazu auffordert.
Ach, warum es mir fast peinlich ist, darüber zu schreiben?
Weil das Echo der drei mit mir auf der Bühne befindlichen Männer (alles damalige Prominente) entsprechend war. Sie fielen über mich her und versuchten, mir und dem überwiegend weiblichen Publikum zu verkaufen, dass Männer nicht so sind wie ich sie beschrieb und wenn doch, es an den Müttern läge, die sie erzogen haben.
So einfältig waren damals übrigens noch die double binds.
Peinlich, weil es bis heute nicht anders geworden ist. Es ist zum Fremdschämen. Noch immer muss ich mit diesen alten Kamellen daherkommen. Weil es noch immer die höchst aktuellen Kamellen sind.
Vor einigen Jahren hatte ich einmal ein sehr nettes und höchst amüsantes Gespräch mit einer Transfrau, die mich gefragt hatte, ob sie an einem meiner legendären Griechenlandseminare teilnehmen dürfe. (was ich leider ablehnen musste). Irgendwann bat ich darum, eine Frage stellen zu dürfen, was sie erlaubte. Ich fragte, wie um der Göttin Willen ein privilegierter Mann auf die Idee kommen könne, zur Welt der Frauen gehören zu wollen. Und schilderte ihm da so einiges – siehe oben. Er/sie lachte herzlich und meinte, das habe sie mittlerweile auch schon feststellen müssen und nie hätte sie gedacht, dass es so schwer ist, eine Frau in einer Männerwelt zu sein. Willkommen, sagte ich.