Mama ante portas – Leseprobe

Mama ante portas

Angelika Aliti
Mama ante portas!
Wenn Frauen das Sagen haben
Frauenoffensive
ISBN: 978-3881042871
z. B. auf Amazon

Mütter und Töchter

Das älteste Paar der Menschheitsgeschichte sind Mutter und Tochter. Keine Beziehung ist inniger, keine ist schwieriger. Beide erleben in der anderen die äußerst fragile Fortsetztung des eigenen Selbst. Beide sind Gleiche und doch völlig verschieden. Sie müssen sich aus der Symbiose heraus in die Autonomie kämpfen, und sie müssen dabei ein Stück von sich selbst verlassen. Von der Mutter lernt die Tochter, was eine Frau ist. Weil sie selbst weiblich ist, wird ihre Identität auf die eine oder andere Weise mt dem Wesen der Mutter verknüpft bleiben.
Die Gestaltung der Mutter-Tochter-Beziehung in einem matriarchalen Leben ist deshalb so schwierig, weil unsere Rollenvorbilder auf diesem Gebiet in den alten mystischen Zeiten von Persephone und Demeter aufhören. Seither lebten wir wie Persephone bei Hades in der Unterwelt. Auf unserem Weg zurück in das Zentrum des Lebens gelangen wir dorthin, wo Demeter seit den alten Zeiten auf die Rückkehr ihrer Tochter Persphone wartet. Wir kehren zu den Müttern zurück und müssen uns in ihrer Welt neu zurechtfinden, bis sie unsere Welt geworden ist. Dabei fangen wir da an, wo das Patriarchat aufhört, d.h. wir schleppen eine Menge Altlasten mit uns herum. Das macht es nicht ganz einfach, aber es hängt soviel davon ab, deshalb muss es sein.

Die Mutterschaft betrifft nicht alle Frauen, und nicht alle Mütter haben Töchter. Deshalb ist ein großer Teil dieses Kapitels aus der Tochtersicht geschrieben, denn wir können zwar entscheiden, keine Mutter zu werden, aber wir können nicht entscheiden, keine Mutter zu haben. Aus diesem Grund wird es zuerst vor allem darum gehen, das richtige Verhältnis zur eigenen Mutter zu finden. Immerhin ist sie die Frau, die mehr Einfluss auf unser Leben gehabt hat als irgendein anderer Mensch auf der Welt. Noch in jedem meiner Seminare gestaltet sich die Findung der wilden Mutterkräfte am schwierigsten. Viel einfacher ist es, die wilden amazonischen Anteile eines Frauenlebens wiederzubeleben, und auch die weise Alte ist den meisten nicht so fern, selbst wenn sie noch jung sind. Aber die Mutter als wilde Frau verbirgt sich für die Tochter hinter einem Berg von Angst, Verletzung, Missverständnissen, Verrat und Vergeblichkeit.

Es ist auch nicht ganz einfach, das richtige Verhältnis zu einer Frau zu finden, die einerseits so mächtig ist, daß sie uns das Leben geschenkt hat, und andererseits in der patriarchalen Welt auf der untersten Stufe des sozialen Ansehens zu finden ist. Aber es ist vor allem die Tatsache, daß unsere Mütter uns in der Tat viel angetan haben, die es uns so schwer macht, unbelastet und unbeschwert mit ihnen zu sein.

Vati Fortschritt hat es fertiggebracht, in jeder Hinsicht Frauen die Dreckarbeit machen zu lassen. Die Dreckarbeit für Mütter besteht darin, daß sie ihren Töchtern beibringen, die Dreckarbeit für Vati Fortschritt zu machen, ohne zu klagen, ja es sogar für die natürliche weibliche Bestimmung zu halten und dies ihren Töchtern nahezubringen. Die Mutter als ausführende Erfüllungsgehilfin sagt: “Ich und mein Mann.” Und: “Papa will das aber so.” Und: “Natürlich liebt Papa dich. Er kann es nur nicht so zeigen.” Sie sagt auch: “Stell dich nicht so an, du weißt doch, wie er ist. Sei wenigstens du vernünftig.” Ihre unausgesprochene, unterschwellige Botschaften lauten: “Du darfst nicht so genau hinschauen, wenn ich mich unterordne (unterwerfe), und du darfst dich nicht erheben, denn sonst müsste ich auch handeln, und das kann ich nicht.” So beginnt es, dass Frauen den Grund für die Unterwerfung von Frauen in den Frauen suchen.

Mütter geben Töchtern widersprüchle Botschaften. Sie sagen zum Beispiel: “Der Prinz auf dem weißen Pferd wird kommen.” Und unausgesprochen vermitteln sie: “Männer sind ungut. Du bekommst niemals von ihnen, was du brauchst.” Das hat zur Folge, daß manche Töchter ihr ganzes Leben damit verbringen, aus unguten Männern Prinzen machen zu wollen, denn die Botschaften der Mutter sind tief in unser Herz versenkt, vor allem die unausgesprochenen und wie grotesk sie auch sein mögen, Töchter versuchen, ihnen lebenslang gerecht zu werden.

Frauenzentrisch empfindene Frauen werden eine andere Art Mutter für ihre Töchter sein, denn Töchter brauchen Mütter, die ihnen ins Leben helfen, die ihnen die Wirklichkeit zeigen und ihnen beibringen, wie eine diese Wirklichkeiten nicht nur überlebt, sondern so stark wird, dass sie die Wirklichkeiten verändern kann, falls sie nicht gut sind. Sie brauchen Mütter, von denen sie lernen, wie sie sich erfolgreich gegen Übergriffe von Männern verteidigen. Wie sie unterscheiden lernen, ob jemand es gut meint oder nicht. Mütter sollen Töchtern beibringen, sich auf die eigenen Füße zu stellen und freie Frauen zu werden. Sie sollten die Töchter lehren, Achtung vor dem Weiblichen zu haben und die Welt aus weiblicher Sicht zu sehen. Matriarchale Mütter geben den Töchtern die Botschaft: “Du bist wichtig, weil du eine Tochter bist.” Und: “Du bist das Zentrum des Lebens, denn du bist weiblich.” Matriarchale Mütter feiern daher die Geburt einer Tochter mehr als die eines Sohnes. So eine Mutter haben wir alle nicht gehabt. Ich gebe zu, so eine Mutter war auch ich nur in Ansätzen. Teilweise nicht einmal ansatzweise, denn ich war noch nicht die, die ich heute bin, damals als ich kleine Kinder hatte.

Aber wie soll eine Frau eine starke Mutter werden, wenn sie selbst noch nicht einmal von der eigenen Mutter abgelöst ist. Solange die Beziehung zur Mutter nicht geklärt ist und auf eine erwachsene Ebene gehoben worden ist, hat keine Frau eine echte Chance, eine gute Mutter, eine gute Mutter für Töchter zu werden. Ich möchte sogar behaupten, daß sie keine Chance hat, eine gute Beziehung zu anderen Frauen, Freundinnen, Schwestern zu entwickeln, und am wenigsten, sich selbst eine Freundin zu sein. Denn in ihrem Umgang mit anderen Frauen, gleich, in welcher Beziehung sie zu ihr stehen, spiegelt sich immer, was diese Frau über Frauen denkt, was sie von ihnen hält, und damit natürlich auch, was sie von sich selbst hält. Die meisten Mütter in der patriarchalen Welt haben ihren Töchtern vermittelt, daß sie von Frauen und damit von sich selbst und von ihren Töchtern nicht viel halten.

Wenn wir das in Zukunft ändern wollen, müssen wir es zuerst in der eigenen Vergangenheit anschauen, denn ungeklärt werden uns diese Dinge unser Leben vergiften.

So steht also am Anfang der Abschied von der Mutter. Ein solcher Abschied vollzieht sich in Form einer klaren Abrechnung mit Mutters Taten und Versäumnissen, mit ihrem Verrat und ihrem Kleinmut. Wir müssen uns genau anschauen, wie dumm, bösartig, lieblos und gedankenlos Mütter sein können, die statt in einem südlichen Garten auf einem Balkon leben, der nach Süden liegt, d.h. nicht im Matriarchat, sondern im Patriarchat, und vor allem muß eine sich anschauen, welche Missetaten die eigene Mutter zu verantworten hat. Wenn wir das nicht tun, wenn wir dieses Tabu nicht brechen, werden wir niemals die Chance erhalten, eine gute Beziehung zur eigenen Mutter und zu Müttern überhaupt zu entwickeln. An diesem Punkt hilft es nichts, wenn wir uns dagegen empören, daß die Mütter immer für alles verantwortlich gemacht werden, die Väter aber nicht.

Mütter machen die Dreckarbeit für das Patriarchat, damit Vati eine hat, der er die Schuld geben kann. Das tut er deshalb, weil er niemals Verantwortung für irgend etwas übernimmt, das er zu verantworten hat. Das gehört zu seinem Lebensprinzip. Wir können dies nicht ändern, indem wir uns an Vati wenden und ihn in die Verantwortung zwingen. Wir können dies nur ändern, indem die Mütter nicht mehr für die Dreckarbeit zur Verfügung stehen. Das jedoch erreichen wir nur, wenn Mütter sich anschauen, was sie getan haben. Diese Art der Verantwortung können und müssen Mütter tragen. Damit müssen Töchter abrechnen.

Drei Ängste hat jede Frau in bezug auf die eigene Mutter: dass sie ihre Liebe verliert, dass sie wie ihre Mutter wird und dass ihre Mutter sterben könnte. Drei wesentliche Dinge sind zwischen Mutter und Tochter in einem patriarchal bestimmten Leben nicht erlaubt: dass sie sich nicht voneinander lösen, dass sie einander wahrhaft verbunden bleiben und dass sie ihre Beziehung wichtiger nehmen als die zu Vätern und Ehemännern.

In den drei Ängsten ist die große Macht der Mutter dokumentiert und gleichzeitig auch die immense Bedeutung als Machtinstrument, die sie dadurch für das patriarchale System erhalten hat. Die drei Verbote sichern, dass die Tochter Abhängigkeiten über die Kindheit hinaus benötigt und dass diese Abhängigkeiten auf Männer projiziert werden und nicht mehr auf die Mutter und in der Folge auf andere Frauen.

Die notwendige Abrechnung mit der eigenen Mutter kann einer Frau vor allem deshalb Angst machen, weil sie fürchtet, dann die Liebe der Mutter zu verlieren. Darum kann es ihr vielleicht unmöglich sein, all die Dinge zur Sprache zu bringen, die unausgesprochen zwischen ihr und der Mutter stehen. Generelle Regeln, wie eine Abrechnung zu erfolgen hat, gibt es erfreulicherweise nicht. Es kann sinnlos sein, mit der Mutter über diese Dinge zu sprechen, weil sie es nicht verstehen würde. Es kann aber durchaus auch heilsam sein.

Ich erinnere mich an eine Klientin, die bei mir ihre schwere Kindheit aufarbeitete. Eine Kindheit, die von Missbrauch und Vergewaltigungen überschattet war. Wie in beinahe allen Fällen von sexuellem Missbrauch spielte die Mutter die ambivalente Rolle der wahrscheinlichen Mitwisserin. Es gehört zur Aufarbeitung solch schwerer seelischer und körperlicher Verletzungen, die Täter zu konfrontieren und mit allen Beteiligten offen zu reden. Weil die Mutter zu diesem Zeitpunkt schon eine sehr alte Frau war, hatte meine Klientin schwere Bedenken, offen mit ihr zu sprechen und ihr auch den Groll mitzuteilen, der sich mit den Jahrzehnten über den angenommenen Verrat der Mutter in ihr aufgestaut hatte. Sie hatte Angst, die Liebe der Mutter zu verlieren, und sie hatte Angst, die Mutter könnte an dem Schock sterben. Ich einigte mich mit der Klientin, dass sie geduldig in sich hineinhorchen sollte, um herauszufinden, ob sie nicht doch die Kraft zu einem Gespräch finden könnte. Irgenwann klappte es, und es gab ein langes Gespräch zwischen den beiden Frauen. Zur Überraschung meiner Klientin haben die beiden seitdem und eigentlich zum erstenmal in beider Leben ein inniges, liebevolles Verhältnis zueinander.