- - - 13. März 2025 - - -

Hülle und Fülle

Unsere Welt wäre eigentlich ein Füllesystem. Von allem gibt es immer mehr als nötig. Aber unsere Weltordnung ist ein Mangelsystem. Wir haben – so scheint – es, immer von allem viel zu wenig. Es ist ja nicht so, das das Mangelsystem keinen Überfluss kennt. Da wird Fülle erschaffen ohne Ende. Aber eben nur für Wenige. In diesem System entsteht Fülle hier, indem Mangel dort erzeugt wird. Wie aber könnte ein System beschaffen sein, dass Hülle und Fülle hervorbringt oder mehr als genug? Kinder leben es vor. Mütter leben es vor. Gemeinschaften leben es vor. Genossenschaften leben es vor. Ich will die Ideologien auch hier herauslassen. Karl Marx’ beeindruckende Gedanken entstanden vor dem Hintergrund schlimmster Mangel-Gesellschaft. Und was die real existierenden Kommunisten draus gemacht haben, muss ich hier auch gar nicht erst erwähnen. Aber vielleicht schauen wir uns doch mal heute noch immer existierende Systeme an, die weiblich dominiert sind. Es gibt sie. Und es gibt genügend Veröffentlichungen über ihr Leben. ( z.B. Musoa, Hopi etc.) Oder nehmen wir die Arbeit des Arztes Patch Adams an. Er sagt, dass wir uns, was die Werte unserer Gesellschaft angeht, zu wenig an den Müttern orientieren. Wir sind nicht nährend, füreinander sorgend, zuwendend, zuhörend. Sein Gesundheitssystem ist ein System der Fülle.

Ob wir ein System der Fülle oder ein System des Mangels erschaffen, hängt vor allem und zuallererst davon ab, was wir ins Zentrum stellen. Das Mangelsystem hat den Mann im Zentrum, der versorgt sein will. Jeder Mann kriegt eine Frau. So hat er ein Zuhause, saubere Wäsche, etwas zu essen, ein warmes Bett, Sex. Die Frau umsorgt ihn. NEBENBEI bekommt sie noch Kinder und zieht sie auf. Falls wer glaubt, das sei lang vorbei, soll sich diese/r fragen, wer noch immer den Hauptteil der Hausarbeit macht? Mittlerweile zieht sie nicht nur nebenbei noch Kinder auf, nein, sie arbeitet auch noch nebenbei. So entsteht Mangel. Ihr Mangel hauptsächlich. Sie aber bemerkt dies nicht nur nicht, nein, sie ist konzentriert darauf, eine starke Frau zu sein. Eine starke Frau ist eine, die versucht, das alles zu stemmen. Manche sind stolz darauf.

Kommt man aus dieser Falle wieder heraus? Ich arbeite, einmal abgesehen von meinem eigenen persönlichen Leben, seit mehr als dreißig Jahren daran, Frauen auszuwildern. Die größte Schwierigkeit ist, die Mangelverwaltung aus den Köpfen zu bekommen. Es ist kaum zu fassen, wie viele die Meinung vertreten, dass es auf Materielles nicht ankäme. Da bin ich aber ganz anderer Ansicht. GELD TUT FRAUEN RICHTIG GUT! Und das nehme ich hier als Synonym für Fülle. Die Inquisition hatte auch zum Ziel, den Besitz von Frauen einzukassieren und Frauen zu Besitzlosen zu machen. Funktioniert bis heute. Die zweitgrößte Schwierigkeit ist die Isolation. Das Mangelsystem isoliert Menschen von seinesgleichen. Der Pärchenzirkus, also diese seltsame Ansicht, dass Menschen nur als Paar fähig sind, das Leben zu meistern, führt dazu, dass Frauen verlernt haben, dass sie das soziale Geschlecht sind. Eine Frau ist immer vom Rest der Welt isoliert, ob mit oder ohne Partnerschaft. Und das ist niemals gut. Frauen brauchen andere Frauen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Alleinerziehende sind die verlassensten Geschöpfe der menschlichen Gesellschaft und das auch noch völlig unnötig. Wenn wir doch wissen, dass es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind aufzuziehen, wieso handelt ihr nicht danach, ihr euch allein abschindenden Mütter? Tut euch mit anderen zusammen. Wenn es die alten Großfamilien nicht mehr gibt, dann erschafft neue.

Das ist kein Frauenthema, über das ich hier schreibe. Es ginge der gesamten Gesellschaft besser, wenn wir Frauen dazu verhelfen, nicht mehr die Umsorgung des Mannes ins Zentrum ihres Lebens zu stellen und auch nicht zu erwarten, dafür mit Bedeutung, Identität und Geld, Anerkennung und Beachtung belohnt zu werden. Das hätte in jeder Hinsicht große Tragweite.

Es gäbe viel dazu zu sagen, wie es einer einzelnen Frau ergehen kann, wenn sie den Schwerpunkt ihres Lebens zu sich selbst verlegt. Man bekommt auf jeden Fall zu spüren, dass eine Frau männliche Protektion braucht, um etwas zu werden im Mangelsystem. Ist die nicht vorhanden, müssen Frauen zäh und kreativ sein. Belohnt werden sie dadurch, dass es dann aber auch keine Begrenzungen gibt, denn Protektion lässt dich niemals über deine Gönner hinauswachsen.

Wo soll die Fülle herkommen? Ganz einfach: aus dir heraus. Schöpferisch sein und wirtschaften können. Jede/r, die/der etwas produziert, weiß, dass es nicht schwer ist, etwas zu erzeugen, aber sehr viel schwer, es auch zu verkaufen. Und damit kommt die dritte Komponente ins Spiel: professionell werden. Mein Beispiel stammt aus der deutschen Heilpraktikerszene. 90 % aller, die eine Heilpraktikerausbildung durchlaufen, sind Frauen. Aber 90 % aller Praxen, von denen man leben kann, sind von Männern betrieben. Ich sehe dafür zwei Ursachen. Die eine besteht darin, dass es sehr viel leichter ist, ein erfolgreiches Unternehmen aufzuziehen, wenn ich eine Frau habe, die mir den Rücken freihält (Haushalt, Buchhaltung), was sie ja gern macht, während sie nebenbei Kinder bekommt und sie aufzieht. Und die andere darin, dass es für Männer viel selbstverständlicher ist, professionell zu werden und zu handeln. Ich bin ganz sicher, dass sich Professionalität mit einem System der Fürsorge und Gemeinschaftlichkeit verträgt, was meiner Ansicht nach Kriterien eines Füllesystems sind.