- - - 4. September 2022 - - -

Die Diskriminierungspyramide

oder wieso Identitätspolitik das dümmste Kind des Patriarchats ist

Mich zu unterdrücken ist auf mehrfache Weise in unserer Welt völlig legitim. Ich bin eine Frau, ich bin Migrantin, ich bin Schriftstellerin, ich bin Mutter, ich war alleinerziehend, ich lebte und lebe ohne Protektion oder Schutz von Männern und bin mittlerweile alt. Legitim? Ja, im Patriarchat ist das so. Die Ansammlung schiebt mich auf der Diskriminierungspyramide ganz schön nach unten. Zu den Gebenedeiten.

Aber es ist andererseits superleicht, mich zu einer Unterdrückerin zu machen. Ich lebe im reichen Österreich, ich bin Grundbesitzerin, ich bin weiß (auch wenn ich für Rechte nicht weiß bin), ich bin gebildet, ich bin vernetzt, ich esse hin und wieder Fleisch, sehr selten aber doch Industrienahrung, meine für mich lebenswichtigen Medikamente werden in Indien hergestellt, meine Kleidung wird in Asien produziert. Das entlastet natürlich, ich dürfte, würde man die Pyramide ernstnehmen, ein Stück weit wieder aufsteigen.

Andere sind erheblich mehr Diskriminierungen ausgesetzt. Behinderte Menschen beispielsweise. Menschen mit dunkler Hautfarbe oder aus uns besonders fremden Kulturen. Psychiatrisch Kranke ebenso (ist ein Unterschied zu psychisch Kranken) und manch andere.

Immer wieder hat mich ein solcher Blick auf mein Leben zu der Frage veranlasst, wer ich denn wirklich bin, wenn das alles wegfällt. Mit dieser Frage habe ich in Jahrzehnten auch immer wieder meine Leserinnen und Klientinnen konfrontiert. Folgt man dieser Frage, kommt man irgendwann an den Punkt zu erkennen, dass wir alle eins sind. Diese Erkenntnis führt zu Solidarität, Empathie, löst Vorurteile auf, und macht Rassismus, Chauvinismus und Feindseligkeit unmöglich.

Irgendwie hatte ich gedacht, ich hätte damit wie viele andere ein Rädchen in Richtung Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit weitergedreht. Wie Feministinnen das eben so machen.

Ich habe in meinem Leben mehr Unterdrückung erfahren als ich wahrgenommen habe. Viele Hürden in meinem Leben wertete ich als persönliche Fehler oder glaubte, das ginge allen Menschen, Frau und Mann, ebenso. Erst als mein Blick in diese Richtung geöffnet war, habe ich mich gewehrt. Nicht nur meinetwegen, sondern im Interesse aller Frauen. Erfreulicherweise haben das vor mir und neben mir unzählige andere Frauen auch getan. Die Frauenbewegung der Siebziger/Achtziger/Neunziger ist mittlerweile Legende. Sie hat viel bewegt, viel erreicht. Frauenrechte sind ein fester Begriff geworden. Immer noch umkämpft, aber kollektiv ins Bewusstsein gelangt.

Irgendwann ging es mit der Identitätspolitik los. Ganz ehrenhaft zu Anfang. Gegen Rassismus, gegen Ausgrenzung von Menschen, mit dem lobenswerten Etikett der Inklusivität. Identitätspolitik ist aber das Gegenteil von Inklusivität. Du bist – ich bin – die sind – wir sind. Schwarze Frauen mit deutscher Sozialisation sprachen mir dann die Berechtigung ab, Feministin zu sein. Ich war ja nur eine deutsche Frau. Halt, da konnte ich widersprechen. Ich war ja eine griechische Hanseatin! Das galt aber nicht. Hanseaten waren ja Kolonialisten! Verdammt. Minuspunkt. Aber ich hatte einen Schweizer Pass! Abgelehnt. Das war ja praktisch eine Art Nummernkonto. Kapitalistin also! Gott sei Dank war es dann bald ein österreichischer Pass! Wenigstens das! Ich wollte doch das Matriarchat zurück! Also statt Patriarchat! Wie bei den Bonobos! Ganz schlecht. Das ist gleich überhaupt kein Feminismus, das ist Biologismus. Wenn ich gewusst hätte, dass einige Jahrzehnte später für mich gesprochen hätte, dass ich die Karl-May-Bücher immer schon Scheiße fand. Aber damals war man noch nicht soweit.

Mittlerweile sind wir im Stadium des Bizarren angekommen. Wir kamen in den alten Zeiten noch mit wenig Gegnerschaft aus. Arme gegen Reiche, Arbeitnehmer/innen gegen Arbeitgeber/innen, Frauenrechte gegen Männerprivilegien, rote Politik gegen schwarze Politik, grüne Politik gegen alle.

Doch mittlerweile gibt es diese hierarchische Diskriminierungspyramide. Es geht der Kampf zu einen darum, wer am diskriminiertesten ist. Den ersten Preis erhielte dann zusammengefasst, eine dunkelhäutige, behinderte, jüdische, kopftuchtragende Frau aus Jamaika, deren Vater ein muslimischer Apache war. Wenn es nach den Transaktivisten geht, ist diese Person eigentlich ein Mann, der sich als genau so jemand empfindet, auch wenn er blond, hellhäutig, ohne Religionsbekenntnis, aber mit bleibendem Penis ist, der sich deshalb als Lesbe bezeichnet, weil er auf Frauen steht und dessen Familie seit dem Dreißigjährigen Krieg aus Pinneberg stammt.

Da kann natürlich keine Frau mit ihren lächerlichen Unterdrückungserfahrungen mithalten. Die sind auf einmal gar nichts mehr wert. Wenn wir nicht aufpassen, landen wir Frauen ganz bald als patriarchale Kriegsgewinnlerinnen ganz oben, wahrscheinlich von der Pharmaindustrie bezahlt, gleich unter der Spitze, die vom inzwischen schon legendär gewordenen alten weißen Mann besetzt ist, der von niemand unterdrückt wird, aber alle anderen unter ihm ganz doll unterdrückt.

Womit der Feind aller dann ja schon feststünde, oder? Der alte weiße Mann! Selbst schuld! Er könnte sich ja wenigstens als gefühlte Frau erklären, dann wäre er aus der Schusslinie und die Frauen endlich auch offiziell die Hauptschuldigen.

Halt! Nein! So funktioniert Identitätspolitik nicht! Natürlich bleibt der alte weiße Mann der Feind. Die Frauen treten auch nicht an seine Stelle auf der Diskriminierungshierarchiepyramide, denn es gibt auf einmal Frauen gar nicht mehr. Sie sind jetzt nur eine kleine Gruppe von vielen. Denn man muss an alle die denken, die noch viel mehr diskriminiert werden, wie schon erwähnt. Vor allem der weiße Mann aus Pinneberg. Also die gefühlte Frau. Der/die kann nämlich alles das, was Frauen können. Zum Beispiel auf Highheels gehen und Kinder gebären. Man braucht die Frauen also gar nicht mehr. Ja, das mit dem Kinderkriegen wird er auch hinkriegen. Oder die Frauen zu Gebärmüttern auf zwei Beinen erklären, falls sein Frausein doch nicht in allen Punkten hinhaut.

Da stehen wir augenblicklich. Der weiße Mann in Frauenkleidern spricht den Frauen, also der Basis der Diskriminierungspyramide ihre Existenzberechtigung ab. Das heißt denen, die den ganzen Laden auf ihren Schultern tragen.

Wohin soll das führen? Wohin wird es uns führen, wenn die Transaktivisten es schaffen, sich zum Gewinner der Diskriminierungsolympiade zu erklären?

Dann wird es kompliziert und das könnte eventuell unsere Rettung sein. Denn die Identitätspolitik wird von ganz rechts und ganz links betrieben. Wobei wir es jetzt mit der von links zu tun haben.

Es gibt einen alten Grundsatz, den nur ehemalige Linke kennen und aussprechen, nämlich: was von links kommt spaltet sich zuverlässig bis die ganze Angelegenheit in mikroskopisch kleine Grüppchen atomisiert wurde. Das wird auch diesmal passieren, da habe ich keine Sorge. Die Frage ist nur, was auf dem Wege mit meinen Interessen passiert. Natürlich nicht meine persönlichen Interessen. Ich kann mir die ganzen linken Identitären ebenso vom Leibe halten wie die von rechts. Ich meine die Interessen von Frauen. Von Müttern, Alleinerziehenden, Lesben, Sportlerinnen, Karrierefrauen, Politikerinnen, die Vielen in den sozialen, pädagogischen und Gesundheitsberufen.

Noch besser wäre es, wenn die Basis der Pyramide, also wir Frauen, aufhört, das Ganze auf ihren Schultern zu tragen.

Denn wer die Frauen kontrolliert, hat die Macht auf Erden. Warum wohl sonst glaubt ihr, geht das Theater gegen die Frauen auf einmal wieder los. Frauen haben sich viel Raum erobert in den vergangenen Jahrzehnten seit Ende des Weltkrieges. Das nimmt jetzt Formen an, die Männer das Fürchten lehrt. Daher der Angriff. Und wieso auch nicht. Es ist ganz leicht Frauen zu kontrollieren. Leider. Immer noch! Aber schwerer als je in den vergangenen 5000 Jahren. Nutzen wir unsere Chance! Auch das ist eine alte Kämpferinnenweisheit: Das, was man bekämpft, lässt man dadurch erstarken. Sollen sie uns also ruhig bekämpfen. Das macht uns stark! Frauen werden am Ende noch mehr Raum eingenommen haben als bisher! Bis diese verdammte Pyramide abgeschafft ist. Am besten funktioniert es, wenn wir alle geschlossen unseren Platz ganz unten einfach verlassen. Geht nicht? Geht nicht gibt’s nicht.

- - - 23. August 2022 - - -

Culture of uncare

Wir leben in einer culture of uncare, einer Kultur der Achtlosigkeit und Verachtung. Und damit meine ich sie alle: Sowohl die Leute, die durch Thomas Gottschalk, den Meister der peinlichen Witze repräsentiert werden und sich eher kastrieren lassen als zu gendern. Wie auch, und eigentlich in ganz besonderem Maße, die Gruppe der Neu-Jakobiner, die sich als Identitätssortierer hervortun und allüberall kulturelle Aneignung wittern, vor allem wenn sie jung und weiß und so gar nicht indigen sind. Aber vor allem die Care-Piraten, die es verstehen, sich mit dem Ethos der linken Befreiungsrhetorik zu bewaffnen, um wesentliche gesellschaftliche Themen zu kapern wie die Frauenrechte. Das machen sie auf eine äußerst geschickte Art und Weise, so dass kaum jemand merkt, wie sie Frauenfeindlichkeit unter dem Mantel der angeblich diskriminierten Transpersonen einschleusen und wieder einmal salonfähig machen.

Sie erreichen das, indem sie eine Falle aufstellen.

Eine nette kleine Falle, denn außer den radikalen Rechten kann niemand etwas daran gelegen sein, Transpersonen zu diskriminieren und von der Teilhabe an der Welt auszuschließen. Sie zu kritisieren ist also ganz dünnes Eis. Und während mehr und mehr Menschen ihre Einfühlsamkeit den Transen gegenüber demonstrieren wollen, zeigen sich in ihren Reihen Frauenhasser wie die Wölfe im Schafspelz.

Ihnen Frauenfeindlichkeit vorzuwerfen, weil sie darauf bestehen Frauen und nicht Trans-Frauen zu sein, also auch als weithin erkennbare Männer alle Schutzräume von Frauen betreten zu können, diskreditiert auf den ersten Blick die Kritikerinnen, die dann auch eiligst mit cis und terf sowie anderen Kürzeln beschimpft und als transphob bezeichnet, ja sogar in die Schublade der Rechtsradikalität gepackt werden. Auf den zweiten Blick wird deutlich, dass dieser miese kleine Trick jede Kritikerin und jeden Kritiker automatisch ins Unrecht setzen soll.

Was ist so frauenfeindlich an der Handvoll Trans-Aktivisten?  Und wie kommt es, dass sie es schaffen, Themen so zu kapern, dass sie mittlerweile eine recht zahlreiche Schar an Helfern korrumpiert haben, in der lesbisch/schwulen Szene, in Parteien, NGO’s, Jugendämtern, psychosozialen Beratungsstellen und so weiter und demnächst in Deutschland ein Gesetz durch Lobbyarbeit erreicht haben werden, mit dem Frauenrechte mühelos eliminiert werden können?

Ja, wie kommt es?

Das liegt daran, dass wir in einer cultur of uncare angekommen sind. In einer Kultur der Achtlosigkeit respektive Verachtung.

Frauenfeindlichkeit? Frauen? Ach, das hatten wir doch schon. Die dürfen doch jetzt alles. Ach, immer noch nicht? Trotzdem, ein echtes Nischenthema. Frauenfeindlichkeit wird in Verbindung mit anderen Nachrichten praktisch unter anderem und unter ferner liefen in den Medien verbreitet, was die Aufmerksamkeit zerstreut, kaum dass sie sich vielleicht drauf gerichtet hatte. Und dann die Transen. In Österreich gerade mal ein auf 300 Leute geschätzter Personenkreis. Wenn man die echten Transpersonen abrechnet, die nichts anderes wollen, als von unserer Gesellschaft anerkannt und akzeptiert zu werden, bleiben noch ungefähr 100 Nervensägen übrig, die ihren Job allerdings höchst erfolgreich machen, was meiner Ansicht nach daran liegt, dass sie alle als Männer sozialisiert wurden, und Männer wissen halt, wie man sich gegen Frauen durchsetzt. Frauenfeindlichkeit ist da keineswegs ein Hindernis sondern eher so etwas wie Rückenwind. Und während die Welt sich für die Herren in High Heels nicht interessiert, zersägen die gerade, was wir Frauen uns in vierzig Jahren sauer erkämpft haben.

Aber darum allein geht es nicht.

Warum ist es außerdem so wichtig, Frauenfeindlichkeit zu erkennen und sichtbar zu machen?

Ich will es mal so erklären: Mir persönlich ist das noch ein viel zu kleines Ansinnen. Ich meine sogar, dass, wenn wir die Frauen nicht ins Zentrum unserer Gesellschaft stellen, wird es nichts mit der Klimarettung.

Gewichtige Behauptung, ich weiß. Ich begründe:

Eine der größten Gefahren im Moment ist, dass wir ermutigt werden zu vergessen, wie sehr wir tatsächlich von der Natur abhängig sind und übersehen, was uns wirklich am Leben hält.

Stattdessen hören und lesen wir, Frauen, die darauf bestehen, dass es zwei und nicht zahllose Geschlechter gibt, seien Biologistinnen. Das ist ein Schimpfwort, das sich zuerst einmal nur uns Altlinken erschließt. Mir wurde das schon vor über 30 Jahren um die Ohren gehauen, weil ich anhand von Beobachtungen bei den höher entwickelten Säugetieren darauf hinwies, dass auch Menschen von der Evolution matriarchal gedacht sind wie beispielsweise Bonobos, Hyänen, Löwen und Elefanten.

Nein, Biologie ist im Feminismus einiger Gruppierungen offenbar pfui. Stattdessen gibt es das Ingenieursdenken einer Judith Butler und all ihren Gender-Professorinnen, die behaupten, Geschlecht sei ein Konstrukt, das man auch dekonstruieren könne. Nein, nicht Geschlechterrollen, die ja tatsächlich fundamental verändert und aufgelöst gehören, nein, das biologische Geschlecht insistieren die. Dekonstruieren. Judith Butler als Abrissbirne des Patriarchats? Machbarkeit. Da ist sie wieder die verdammte Machbarkeit, nach der das Patriarchat lechzt. Allerdings hat uns der Gedanke der Machbarkeit bis an den Rand der Unbewohnbarkeit der Erde für alle Lebewesen gebracht. Offenbar keine gute Idee.

Eine gute Idee wäre, die Erde als Mutter zu betrachten. Na, da sehe ich doch nicht wenige, auch Frauen hupfen. Doch, doch, das Universum ist weiblich. Das weibliche Prinzip beruht auf Mütterlichkeit. Und das mütterliche Prinzip ist das eine Lebensprinzip, das auf Erden anzutreffen ist. Verschwindet es, verschwindet alles Leben. Das zu verleugnen oder gar zu verachten ist der Gipfel der menschlichen Autoaggression.

Das Klima retten wir nur, wenn wir nach dem mütterlichen Prinzip handeln. Das lässt sich beweisen. Punkt.

- - - 6. August 2022 - - -

Wer eine Frau ist

Ein kleines, aber messerscharfes, weises Essay zu dem Versuch der Transaktivistinnen, die besseren wenn nicht gar die wahren Frauen zu sein. Von einer unserer besten feminstischen Journalistinnen, Elfriede Hammerl, die wir in Österreich haben. Erschienen im profil.

https://www.profil.at/meinung/elfriede-hammerl-wer-eine-frau-ist/402100614