- - - 8. Mai 2024 - - -

Was du kannst und was nicht

Es geht um das, was du nicht kannst. Ah, jetzt höre ich schon viele Frauenstimmen seufzen und kleine dunkle Wölkchen brauen sich über diversen Köpfen zusammen. Denn das, was wir nicht können, kennen wir nur allzu gut, wir Frauen. Die meiste Zeit werden wir über unsere Mängel definiert. Und definieren uns selbst auch darüber! Beschäftigen uns mit dem, was wir nicht können. Und damit bin ich an dem Punkt, auf den ich hinauswill. Ja, es gibt eine ganze Menge, das du nicht kannst. Sehr viel, in dem du ein „total desaster“ bist. Höchstens Mittelmaß, wahrscheinlich aber nicht einmal das. Und ich bin ganz, ganz sicher, dass du es niemals schaffen wirst, in den Bereichen eine echte Könnerin zu werden und auch noch glücklich dabei zu sein. Die Sache ist die: Das, was du nicht kannst, gehört auch in diesem Leben nicht in dein Repertoire. Ist nicht dein Thema. Nicht deine Aufgabe. Falsche Party. Es gibt eine Menge Dinge, die muss ein Mensch im Laufe seines Lebens lernen. Und wenn man ihn lässt, den Menschen, dann lernt er schnell. Sofern es sich um Dinge, Fertigkeiten, Können, Wissen handelt, das für ihn von Bedeutung ist, wichtig und wesentlich, um sein Wesen zur Gänze zu entfalten. Zufällig sind Menschen soziale Wesen. Das heißt, alles Mögliche, das für das Leben dieses Menschen auch wesentlich wäre, jedoch nicht zu seinen Talenten gehört, können andere Menschen, die wiederum von den Talenten dieses speziellen Menschen profitieren, weil es sich um Fähigkeiten handelt, die eben diese Menschen nicht haben. Klingt das kompliziert? Ist aber ganz einfach. Wir sind so dermaßen darauf konzentriert, ein Individuum zu sein, dass wir mehr und mehr darauf vergessen haben, dass wir gar keines sind! Während ich glaube, ich wäre eine Person mit Körper, Seele und Geist, ist allein mein Körper eine Gemeinschaft von Billionen von Lebewesen, zu denen ich auch alle meine Körperzellen zähle. Sie alle nehmen großen Einfluss auf mein Seelenleben, auf meine Pläne, Entscheidungen, meinen Alltag. Und diese Gemeinschaft ist ein Vielkönner, kein Alleskönner. Während wir also darauf konzentriert sind, dass wir ein Individuum sind, das als Einzelkämpfer/in alles unter einen Hut bekommen muss: den Alltag, das Berufsleben, die Kinder, die Haustiere, die Freizeit, das Geldleben, die Philosophie, die Beziehung, der Freundeskreis, das Übergewicht, die Problemzonen überhaupt, die Göttin, der Tod, Krankheiten, Zukunft – eben alles, sind wir in Wahrheit verbunden mit den vielen anderen. Jede/r kann was. Aber nicht jeder dasselbe! Und nicht alles! Zusammen ergibt das ein gutes Leben. Wie konnte es geschehen, dass wir in den vergangenen 40 Jahren vom Aufbruch in eine gemeinsame, solidarische Zukunft als Hippies, Frauen, Menschen zu diesen Einzelkämpfer/innen wurden, die sich einbilden, die berühmte eierlegende Wollmilchsau verkörpern zu müssen? Ich erinnere mich an die ersten Bruchstellen. Da waren zuerst einmal wir Frauen, die wir uns von der Studentenrevolution distanzierten und in die Frauenbewegung abmarschierten, weil wir keine Lust auf die unterstützende Weibchenrolle hatten. Da waren dann in der Frauenbewegung die Mütter, die sich fragten, wieso alle Termine und Veranstaltungen so mütterfeindlich organisiert waren. Abends um sieben! Da müssen die Kinder ins Bett gebracht werden. Auf den Veranstaltungen keine Möglichkeit, die Kinder mitzubringen. Später standen sich Lesben und Heteras verständnislos gegenüber. Während wir im Studium die überflüssige Vorprüfung abschafften, indem ein komplettes Semester geschlossen beim Bildungsminister anklopfte, ermahnten die uns nachfolgenden Semester, sie doch nicht ständig mit unserem Politkram zu nerven, sie wollten in Ruhe für die Prüfung lernen. Ja, und so ging es wohl weiter. Vielleicht werden wir nie genau herausfinden, warum wir den Weg in die Vereinzelung gingen. Bewegungen nutzen sich ab und verebben wie Wellen. Das ist ja auch gut so. Aber wieso sind wir kein Ozean mehr, sondern einzelne Wellen, die sich Stress machen, wie sie es schaffen, eine perfekte Welle zu werden? Wofür? Wozu? Das schaffst du sowieso nicht ohne die anderen! Wir kommen nur als ganzer Ozean an die Küste! Mich hat das Buch von Peter Wohlleben, „Das geheime Leben der Bäume“ so beeindruckt. Er beschreibt, warum die von uns Menschen gepflanzten Bäume ziemlich arme Schweine sind. Ein in diesem Zusammenhang merkwürdiger Vergleich. Aber zutreffend. Er sagt, dass die im Wald von selbst gewachsenen Bäume untereinander eng und gut vernetzt sind, sich gegenseitig helfen und ernähren, während die von Menschen gepflanzten mit abgeschnittenen Feinwurzeln in die Erde kamen und darum dazu verurteilt sind, ein Leben lang Einzelkämpfer zu bleiben. Sie stehen dicht nebeneinander im Wald, genauer in Baumplantagen und können sich nicht verbinden. Manchmal denke ich, dass diese letzten dunklen Jahrtausende uns Menschen die Wurzeln beschnitten haben. Wir versuchen immer wieder zueinander zu finden. Aber dann stehen wir wieder dicht beieinander für uns allein und wissen nicht warum.